Im Gerichtszimmer der Drostei
Hatzburg steht die fast 100-jährige Margareta Möller vor Gericht.
Bauer Dietrich Behrmann beschuldigt sie, seine Ernte verhext zu
haben, und möchte jetzt Schadensersatz. Dies ist nicht der einzige
Fall, den der Richter mit Hilfe seines noch vom gestrigen Abend
etwas angeschlagenen Büttels verhandeln muss.
Episode 2: 1823, in der Schule am
Schoolkamp:
Der Lehrer der Rissener Dorfschule,
Philipp Suden, hat viel zu tun: Zum einen muss er das Schularchiv
führen, das, wie er hofft, später einmal interessierten Leuten über
seine Schule Auskunft geben wird. Seine Frau kann diese
futuristischen Gedankengänge nicht nachvollziehen. Ihre größte Sorge
gilt dem warmen Mittagessen, welches die beiden täglich am
Wandeltisch einnehmen müssen, denn zu mehr reicht das spärliche
Schulgeld nicht. Und zum anderen bereitet er sich mit sechs
Bauernkindern auf die Prüfung durch den Schulvorsteher, den
Kirchenprobst in Nienstedten, vor. Die Kinder besuchten damals nur
im Winter die Schule.
Episode 3: 1876, Theater im
Rissener Dorfkrug um den Grafen Clancarty:
Eine Wanderbühne bestehend aus drei
Schauspielern bringt etwas Abwechslung in den Alltag der Rissener.
Sie erzählen die Geschichte des Grafen Clancarty, der einst als
Strandräuber den Rissener Strand Wittenbergen unsicher machte. Doch
der Graf hat in seinem Leben noch viel mehr erlebt: er wurde mit 15
verheiratet, wurde in den Londoner Tower geworfen, entkam und wurde
wieder gefangen genommen. Sein bewegtes Leben stellen die
Schauspieler dar, und die Rissener können nur noch staunen, dass
einst ein so verwegener Mann in ihrem kleinen, verschlafenen Dorf
gelebt hat.
Episode 4: 1905, im Freibad
Wittenbergen:
Die Rissener sind am Strand
versammelt und erwarten ein großes Ereignis: Der Leuchtturm
Wittenbergen soll heute um 9 Meter verschoben werden! Rund um den
Gemeindevorsteher Ladiges, der sich nicht viel aus dem ganzen
Spektakel macht, wird diese Geschichte erzählt. Der
Kiesgrubenbesitzer Stucken möchte gern, dass der Nachtwächter ein
paar Runden um seine Kiesgrube macht. Herr Röhling möchte ein
Gewerkschaftshaus bauen, und der Landgendarm sorgt dafür, dass die
Badegäste sich im dafür vorgesehenen Freibadgelände aufhalten. Und
am Ende wird der Leuchtturm verschoben, oder etwa nicht?
Presse
In der Aula der Schule Iserbarg wird
fleißig geprobt. Die Volksspielbühne Rissen bereitet sich gleich auf
zwei Aufführungen vor. Da ist einmal das traditionelle
Frühjahrsstück „Rund um Kap Hoorn" von Fritz Wempner. Sybille
Lettermann scheucht ihre Mimen über die Bühne, überprüft die
Entstehung des Bühnenbildes, ordert Requisiten und streicht im
Manuskript herum - Theaterleben eben. Unten in der Aula am Iserbarg
ist die Garderobe freigeräumt. Denn hier wird auch geprobt. Die
Volksspielbühne Rissen weiß, was sie ihrem „Dorf" schuldig ist. Sie
hat für die 750-Jahrfeier ein Stück in Auftrag gegeben. Das wird
jetzt unten einstudiert. Kinder und Erwachsene spielen mit. Szenen
von 1255 bis ins 20. Jahrhundert. Alles dreht sich um Rissen. Schon
früh hatte Thorsten Junge, Vorsitzender des Volksspielbühnenvereins,
das Datum der 750-Jahrfeier im Kopf. Und schon früh hatte er eine
Idee. Die Bühne sollte ihren individuellen Beitrag zu den
Festlichkeiten leisten. Ein Rissener Theaterstück musste her.
Vielleicht sogar eins, das über die letzten 750 Jahre an diesem
Flecken Erde erzählt. Wenn es denn etwas zu berichten gibt? Das ist
gar nicht sicher. Doch Thorsten Junge spürte Professor Wudtke auf.
Professor Wudtke arbeitet an der Universität Hamburg in der
Lehrerausbildung, wohnt seit 1972 in Rissen und hat sich in die
Heimatforschung über Rissen bereits tief hineingekniet. Vor langer
Zeit war Prof. Wudtke Volksschullehrer, und in deren Tradition
stellt er sich, wenn er über den Ort forscht, in dem er lebt und
arbeitet. Denn Volksschullehrer führten früher die Chronik ihres
Ortes, dokumentierten das Zeitgeschehen und untersuchten die
Lokalgeschichte: Sie betrieben die Heimatforschung.
Obwohl Professor Wudtke nur wenig freie Zeit zur Verfügung hat, wird
er fündig: im Stadtarchiv Wedel, im Nienstedtener Kirchenarchiv, im
Hamburger Stadtarchiv. Bis nach Schleswig und London führt ihn sein
Spürsinn. Er interviewt alte Rissener, die sich noch an frühere
Zeiten erinnern, oder an Schilderungen und Anekdoten ihrer
Großeltern. Schließlich entsteht ein dicker Ordner, voll an Rissener
Geschichte und Geschichten. Man ist erstaunt, was dieser Ort alles
erlebte. Thorsten Junge bringt Prof. Wudtke mit Inge Jacobshagen
zusammen, einer Theaterdramaturgin, die schon einige Theaterstücke
geschrieben hat. Der dicke Ordner wird gewälzt, aber vor allem wird
geredet: über Hünengräber, die sich noch finden lassen, über die
Rissener Stufe und den Venus-Skandal, als ein Hobbyarchäologe mit
einem selbstbehauenen Fundstück die Fachwelt narrt. Über die
Gerichtsverfahren in der Hatzburg, die teilweise dokumentiert sind.
Wie viele Schillinge Strafe man für die Beleidigung „Hure" zahlen
muss, für ein Schwein, das gestohlen, einen Hund, der erschlagen,
oder einen „Bruch", der begangen - und aufgeklärt - wird. Die
Geschichte des Grafen Clancarty ist besonders ergiebig - und
romantisch und verwegen zugleich. Verbannt aus England, aber mit
einer ihn aus dem Londoner Tower befreienden, liebenden Ehefrau an
seiner Seite, lässt er sich in Wittenbergen nieder und bringt es als
Strandräuber zu erheblichem Reichtum und Ansehen, was er beides
freilich durch pralle und verschwenderische Lebensweise wieder
verspielt. Auch das Schularchiv erzählt Rissener Geschichte. Es ist
ein großer Folioband, den man in den 1960er Jahren in der alten
Steinschule findet. Seit 1820 schreiben die Dorfschullehrer hier
hinein. Wer wie lange zur Schule geht, welche Erlässe vom Dänischen
König erteilt werden und welche Prüfungsthemen der Kirchenvogt aus
Nienstedten verordnet. Das magere Gehalt des Lehrers ist ebenso
dokumentiert wie die Sitte des Wandeltischs, die besagt, dass die
Familie des wenig geachteten Lehrers reihum bei den Bauernfamilien
ihr warmes Mittagessen bekommt. Spannend sind auch die Schilderungen
vom Freibad Wittenbergen, das Anfang des letzten Jahrhunderts ein
weitreichender Anziehungspunkt ist, ein immerwährender Jahrmarkt mit
Restaurants, Tanzcafes, einer Seehundstation und der Verschiebung
des unteren Leuchtturms um neun Meter! Inge Jacobshagen verwebt das
ganze Material zu einem Stück. Heraus kommt „Der Dorfgeburtstag",
der versucht, sich an die Fakten zu halten und trotzdem lebendige
Szenen zu schildern, aufgelockert mit Liedern und Musikeinlagen. Nun
wird also fleißig geprobt. Viele Volksspielbühnenmitglieder müssen
koordiniert werden, denn der Personenhaushalt ist groß. Annelie
Lettermann, die Regisseurin, hat alles gut im Griff. Auch die vielen
Kostüme und das Bühnenbild nehmen konkrete Gestalt an. Trotz der
Doppelbelastung schafft die Volksspielbühne Rissen ihre beiden
ehrgeizigen Projekte. Der Zuschauer darf gespannt sein: auf den 1.
April, wenn um 20.00 Uhr in der Aula Iserbarg der Vorhang für „Rund
um Kap Hoorn" hochgeht. Und auf den 30. April, wenn an gleicher
Stelle „Der Dorfgeburtstag" die Geschichte Rissens schildert.
(Rissener Rundschau)
Sie tun's nochmal
Der Vorstand der Volksspielbühne Rissen trägt dem häufig im Ort
geäußerten Wunsch Rechnung: Das Theaterstück "Der Dorfgeburtstag"
kommt wieder auf die Bühne. Allerdings erst nach der großen
Sommerpause.
(Rissener Rundschau)
Szenen-Fotos
Herbert Lettermann - Wiebke Junge
Karl-August Braker - Christian Steuer
- Christian Dennert
Herta Mutschink - Karin Selchow -
Isabell Schumacher
Thorsten Junge - Ulrike von der Ohe -
Annika Ernst - Marco Alexander Dreyer -
Alexandra Friede
Karen Wieck - Henning Lutz
Christain Bauer - Samira Müller -
Inge Schwenn
Alina Friede - Samira Müller - Anna
Wieck - Isabell Schumacher