Ein Stück um das alte und doch immer
neue Thema "Liebe". Diesmal nicht nur: "Kriegen sie sich oder
nicht?", sondern "Dürfen sie sich kriegen oder nicht?" Da es sich
ausschließlich um erwachsene Menschen handelt, eigentlich kein
Anlass, einen ganzen Theaterabend damit füllen zu wollen. Und doch,
geht es doch um Liebe im Alter. Hochaktuell eigentlich in einer
Zeit, in der es immer mehr "neue, junge Alte" gibt, und in unserer
Gesellschaft, in der Jugend (möglichst ewige), Schönheit (?) und
Erfolg als erstrebenswert gelten und den Maßstab abgeben, an dem
sich jeder messen lassen muss. In "Oh, düsse Öllern" zeigen
Lieselotte Ölkers und Walter Johannsen, dass es sich auch im Alter
lohnt, gegen allerlei Widerstand für sein Ziel zu kämpfen. Die
Widerstände sind in diesem Fall die eigenen Kinder. Marianne Ölkers
und Volker Johannsen sind verbiesterter als die "Alten".
Lütt beten wat to dat Stück
Theater ohne Medienrummel
"Oh, düsse Öllern"
Kunst wird heute vermarktet. Kommerztheater wie Konzerne beherrschen
den Markt. Die scheußlichsten Blüten kamen mit "Cats" und "Phantom
der Oper", ähnlich wie in der Buch-Bestsellerliste, werden die
Stücke hochmanipuliert. Ganze Karawanen treten ihre Reise -
gesteuert von Kirchen und anderen Organisationen - in das
Theater-Mekka der Großstädte an. Von der Kleinkunstbühne will man
nichts wissen, sie ist nicht profitabel genug. Bestimmte Stücken
werden so ins Rampenlicht gestellt, daß die breite, dumme Masse sie
sehen will. Tiefenpsychologie nennt man das. Die Gewinne sind enorm.
Extra für ein Superstück wird ein Theater gebaut. Der Spielplan ist
für Jahre total langweilig und spielt trotzdem Millionen ein. Nur
ein Stück - das Superstück - gibt es und nach 5 Jahren Spielzeit
akkumuliert sich die Investition - mit Höchstgewinn. Ganz
Deutschland geht ins Theater. Wie "kunstbesessen" sind die
Deutschen. Ein Wunder! Mitnichten, Kamerad Michel!
Theaterstücke werden wie Waschpulver verkauft. Dreck, nichts als
Dreck bleibt nach. Vor kurzem rief mich eine Freundin an, um mich
mit ins Theater zu nehmen. "Ein plattdeutsches Stück wie Ohnsorg",
sagte sie. Bloß nicht das, dachte ich, denn der Heidi-Kabel-Schleim
steht mir auch bis zum Hals. Da wird doch auch nur eine heile oder
verstaubte Welt gefeiert. Die Überraschung war groß! Keine
Fernsehbühne trat auf, sondern eine Volksspielbühne aus dem
Hamburger Vorort Rissen. Die 300 Zuschauer, waren begeistert. Ein
Lehrstück bester Qualität wurde gezeigt.
Es war ein Stück um das alte und doch immer neue Thema "Liebe". Im
Programmheft: "Diesmal nicht nur: kriegen sie sich oder nicht,
sondern dürfen sie sich kriegen oder nicht."
"Öh, düsse Öllern" (Oh, diese Eltern) hieß das netteste Stück was
ich je gesehen habe. Die Romanze beginnt im Warteraum einer
praktizierenden Ärztin. Hier lernen sich Lieselotte Ölkers und
Halter Johannsen kennen, beide über 60 Jahre alt und verwitwet.
Gebracht werden die beiden Alten von ihren Kindern, über 20 Jahre
alt und ebenfalls noch nicht verheiratet. Die Jungen sind nur auf
das Geld fixiert und wollen sich ein gemeinsames Geschäft aufbauen.
"Partnerschaft" ist ihr Motto. Und so zeigen sie auch Unverständnis
als die beiden Alten die "Liebe" entdecken. Mährend die Jungen sich
verbiestern gegen die Alten, spielen Lisa Schröder als Lieselotte
Ölkers und Rudi Schröder als Walter Johannsen die schönsten und
echtesten Liebeszenen (wohl auch weil die Schauspieler im wirklichen
Leben ein Paar sind). Die Hausärztin Dr. Bolt, von Herta Mutschink
hervorragend dargestellt, tritt mit Dialogen bei jedem Akt vor
Vorhang und Publikum und erklärt, wie sinnlos Tabletten gegen
Krankheiten sind und das die beiden "sterbenskranken " Alten
gesunden wenn sie die Liebe wieder entdecken.
Die Komödie von Alfonso Paso ist ein therapeuthisches Meisterstück.
Das Geschehen auf der Bühne - so spüre ich - ergreift die alten
Leute im Saal, macht ihnen wieder Mut an sich zu glauben. Ein
göttlicher Zufall zeigte sich im ersten Akt, wo Lieselotte und
Walter ihre Liebe entdecken. Als Walter meinte, es sei ja
Frühlingszeit und seinen Kopf an die freigelegte Brust von
Lieselotte legte, weil sie meinte, sie sei so krank, dass ihr Herz
immer aussetze, flog ein bunter Schmetterling durch den Saal. Er
flatterte über die Zuschauer, setzte sich dann auf den Tisch vor dem
Liebespaar, machte wieder seine Runde über die Zuschauer und setzte
sich wieder vor die Verliebten. Das tat er während der ganzen Szene
von ca. 10 Minuten, so daß der Saal in Entzückung und Lachen
ausbrach. Das Stück war so gut gespielt, daß es weder gekünstelt
noch laienhaft wirkte. Die Schauspielerinnen - wohl gemerkt keine
Profis - spielten "unter die Haut". Als ich Petra Göttsche, die
Lieselottes Tochter spielte, nach der Veranstaltung im Foyer traf,
sagte ich zu ihr: "Es war das Netteste, was ich seit Jahren gesehen
habe. Spielen Sie auch mal in der "Hafenstraße", von dort komme
ich!" Einen "Bambi" wird sie wohl nie bekommen und darüber können
sie und die Rissener Volksbühne stolz sein.
(Verbandskritik)
Szenen-Fotos
Petra Göttsche - Lisa Schröder - Rudi
Schröder - Joachim Grabbe